Am Jahresende besiegelt die Euro 4-Norm das Aus für viele Motorradmodelle.
Wen erwischt es - und warum eigentlich?
Ein Blick zurück in Erinnerung und nach vorn in die Zukunft.
Das Damokles-Schwert mit der Inschrift Euro 4 hängt mahnend über Motorradherstellern und -käufern. Bis zum 31. Dezember 2016 dürfen oder vielmehr müssen Zweiräder, welche die bis dahin gültige Euro 3-Norm erfüllen, zugelassen werden. Danach klappt das nur noch nach der neuen Norm. Die umfasst für die Hersteller einige Herausforderungen. Niedrigere Schadstoffwerte sind eine davon, ein serienmäßiges ABS eine weitere. Auch der dann vorgeschriebene On-Board-Diagnose-Stecker zählt dazu. Der scheint nur auf den ersten Blick nicht so wichtig. Auf den zweiten sieht es schon anders aus. Zwar ist es kein Problem, den Stecker in den Kabelbaum eines Motorrads zu integrieren, über ihn müssen sich aber auch entsprechende Informationen auslesen lassen. Und das klappt nicht, wenn der Saft aus der Batterie noch über einzelne Plus-Kabel zu den Verbrauchern huscht. Hierfür ist ein Datenbus notwendig. Die hören aktuell vornehmlich auf die Namen CAN oder LIN.
In Summe bedeutet das: Soll ein bisher nach Euro 3 homologiertes Motorrad die Euro 4-Hürde nehmen, muss es bei den Emissionen angepasst werden, ein ABS vorhanden sein, und die On-Board-Diagnose muss möglich sein. Dazu kommen noch einige weitere Anforderungen, die drei genannten sind aber die essenziellsten der neuen Norm. Diese Vorgaben machen klar: Das wird für einige Motorräder schwierig.
Neben der technischen Herausforderung ist für die Hersteller natürlich noch wichtig: Wie verkaufen sich die Modelle im Einzelnen, lohnt die Umrüstung auf Euro 4? Das technische Know-how ist vorhanden, ein Update muss sich aber wirtschaftlich sinnvoll darstellen lassen.
Spannend ist die Entwicklung bis Jahresschluss allemal, weil viele Hersteller Nachfragen nach ausscheidenden Fahrzeugen oder dem Programm für 2017 unterschiedlich begegnen. So sind beispielsweise bei BMW zahlreiche Typen nur gemäß der Euro 3-Norm homologiert, aber für die Euro 4-Norm vorbereitet. Als einziges Modell fliegt die K 1300-Baureihe aus dem Programm, die durch den starken S 1000-Motor in den letzten Jahren immer mehr in Richtung Abstellgleis wanderte. Der Übergang ist bei den Münchnern also fest in den Planungen für die Zukunft eingeschlossen. Ähnlich sieht es bei allen Herstellern aus, weil die Konsequenzen aus dem Stichtag 31. Dezember 2016 hinlänglich bekannt sind. Nur geht nicht jeder Motorradbauer so offensiv mit dem Thema um wie BMW.
Bei Harley-Davidson läuft die komplette Palette noch unter der Euro 3-Norm. Welches Modell bleibt, welches gehen muss, steht in den Sternen. Es gibt zwar Gerüchte, dass es für die V-Rod-Baureihe eng wird. Aber das sind bisher nur Spekulationen. Ende August 2016 will Harley-Davidson verraten, wie das Programm fürs kommende Jahr konkret aussieht.
Euro 4 ist das Ende der Aprilia-Zweizylinder
Aus den anfänglichen Munkeleien ist dagegen bei Aprilia Gewissheit geworden, wie MOTORRAD bereits in Ausgabe 16/2016 berichtet hat. Der Konzern aus Noale leitet mit der Einführung der Euro 4-Norm auch das Ende aller Zweizylinder ein. Die Produktion von NA 850 Mana, SL 750 Shiver, Dorsoduro 750 und 1200 sowie den Caponord-Modellen steht vor dem Ende. Weniger eine technische denn eine strategische Entscheidung. Aprilias Motorrad-Programm bestünde dann motorseitig nur noch aus den großen, potenten V4-Aggregaten, die die RSV4- und Touno-Modelle antreiben, ergänzt um zahlreiche 50er und 125er. Ob das genügt, um als Motorradhersteller zukunftsfähig zu bleiben? Hierzu mag sich Piaggio als Mutterkonzern hinter Aprilia nicht verbindlich äußern. Man wolle neue Modelle und auch Motoren entwickeln, heißt es, unter denen sich auch wieder Zweizylinder befinden sollen. Was davon zu halten ist, wird wohl erst die nahe Zukunft zeigen. Auch bei Moto Guzzi, ebenfalls zu Piaggio gehörig, fallen Motorräder aus dem Programm. Die Griso 1200 und die Stelvio 1200 werden nicht entsprechend der Euro 4-Norm upgedatet. Ansonsten soll es beim Adler aus Maranello so weitergehen wie bisher.
Gänzlich anders sieht es bei KTM aus.
Alles bleibt bei den straßenzulassungsfähigen Bikes, wie es ist. Modelle, die heute noch gemäß der Euro 3-Norm beim Kunden landen, wie der österreichische Bestseller 690 SMC R, stehen ab 2017 neu homologiert im Verkaufsraum. Auslaufmodelle? Fehlanzeige.
Klarer Strich bei Triumph, Unklarheit in Japan
Einen klaren Strich zieht Triumph, nutzt die neue Euro 4-Norm quasi zur Bereinigung des Portfolios. In Kurzform heißt das: Alle luftgekühlten Bikes aus Hinkley (Scrambler, America und Speedmaster) fallen aus dem Programm. Alle diesjährigen Neuheiten wie Speed Triple, die Classic-Baureihe mit Wasserkühlung, Tiger 1050 oder Tiger Explorer wurden bereits gemäß neuer Norm homologiert. Bei den restlichen, wassergekühlten Triples erfolgt das Euro 4-Update zum kommenden Jahr. Das gilt ebenso für den dicken Reihen-Zweier in der Thunderbird. Offen bleibt, ob es 2017 die Rocket III noch geben wird, genau wie die 675er-Dreizylinder. Triumph verwehrt einen Kommentar, die Spatzen pfeifen es aber schon von den Dächern, dass zumindest ein neuer, kleiner Dreizylinder in der Pipeline ist, der rund 800 cm³ besitzen soll und in der kommenden Street Triple Verwendung findet. Eine neue Daytona wird es wohl nicht geben, auch wenn Triumph das nicht offiziell bestätigt.
Sind vonseiten der europäischen Hersteller zumindest dürftige Infos zur Modellplanung fürs nächste Jahr zu erhalten, geben sich die japanischen Motorradbauer unter diesem Gesichtspunkt deutlich zurückhaltender.
Geredet wird viel, offiziell bestätigt nur wenig. Bei Honda soll es die CBR 600 RR treffen, der Markt für Supersport-Bikes ist für den weltgrößten Hersteller kein zukunftsfähiger mehr, wirtschaftlich nicht mehr darstellbar.
Kawasaki schickt die W 800 als Final Edition in die Rente, die großen Vulcan-Typen könnte es auch treffen. Die hätten aber zumindest das geforderte ABS an Bord. Also doch kein Abschied? Kawasaki gibt sich bedeckt.
Bei Suzuki mag man sich nicht einmal konkret zum Verbleib der GSX-R-Typen mit 600 und 750 Kubikzentimetern äußern. Die dicken Cruiser wird’s wohl treffen. Zum Rest gibt es Schweigen.
Ein paar mehr Infos lässt zumindest Yamaha aus dem Sack: XJR/Racer, SR 400, die XJ6- und FZ8-Reihe verschwinden.
Ausnahmegenehmigung "auslaufende Serie"
Interessant wird es auch für die zahlreichen kleinen Motorradbauer wie beispielsweise Bimota, Benelli, Horex, Hyosung, Mash oder auch SWM, um nur einige zu nennen. Zumindest für die kleinen Gran Milano-Typen von SWM gilt: Wir kommen nächstes Jahr gemäß der Euro 4-Norm auf den Markt. Für alle anderen wie für die großen Hersteller gibt es daneben noch eine Hintertür, weil: keine Norm ohne Ausnahmeregelungen. Die Hersteller haben die Möglichkeit, beim Kraftfahrt-Bundesamt eine spezielle Ausnahmegenehmigung zu beantragen, die sogenannte „auslaufende Serie“. Unter ihr können die Motorradfabrikanten – egal ob große oder kleine – 2017 und sogar 2018 noch Euro 3-Modelle verkaufen. Aber nicht unendlich viele. Pro Typ dürfen das zehn Prozent der Neuzulassungen aus den Jahren 2015 und 2016 sein. Falls diese Summe kleiner als 100 Stück ausfällt, kann auf ebenjene 100 Stück aufgerundet werden. Für die Nischenhersteller wahrscheinlich ein nicht zu unterschätzendes Schlupfloch. Und wie sieht es aus, wenn beispielsweise in Portugal noch mein Euro 3-Traumbike steht, in Deutschland aber eben für jenes Modell schon die zulässige Höchstgrenze für die Zulassung erreicht ist? Keine Chance für den Import! Die Ausnahme zur Zulassung muss in jedem Mitgliedsstaat der EU separat beantragt werden und gilt auch nur dort. Sprich: Mein Traumbike aus Portugal bleibt auch dort.
Was bringt die Euro 4 Norm eigentlich?
Und was bringt die Euro 4? Für Motorradfahrer keine signifikanten Änderungen. Das hat auch sein Gutes. Die schon erhältlichen Motorräder, welche die Norm erfüllen, sind weder teurer, schwerer, leiser oder schwächer als zuvor. Dennoch bleibt festzuhalten: Auch wenn die Änderungen nicht direkt spürbar sind, die Euro 4-Hürde werden viele Motorräder nicht nehmen. Der Markt wird zum Ende des Jahres einen Reinigungseffekt erfahren. Lieb gewonnene Schätzchen sagen Lebewohl. Aber sie einfach so gehen lassen? Das können wir nicht zulassen. MOTORRAD wirft auf den kommenden Seiten noch einmal einen Blick auf Wegbegleiter der letzten Jahre, die es demnächst nicht mehr geben wird. Wir vermissen euch schon jetzt, die Zeit mit euch war schön. Und wer bei dem einen oder anderen Motorrad ähnlich sentimentale Gedanken in seinem Hirnstübchen wahrnimmt: Warum nicht einmal beim Händler des Vertrauens nachschauen und den eigenen Fuhrpark aufstocken? Noch ist Zeit, bis zum Ende des Jahres darf die Entscheidung reifen. Dann ist Eile geboten. Und wer weiß, vielleicht entwickelt sich das eine oder andere Auslaufmodell in naher Zukunft schon zum gesuchten Klassiker. Dann würde der Euro 3-Schnitt vielleicht beim richtigen Kauf als persönliche Kapitalanlage taugen. Verdient hätten es die auf den folgenden Seiten nochmals in den Fokus gerückten Bikes allemal.
Aus am Jahresende
Ab dem 1. Januar 2017 gilt die Euro 4, nach der dann alle Motorräder, die neuzugelassen werden sollen, homologiert sein müssen. Was verbirgt sich dahinter?
Bevor jetzt Panik vor dem nächsten Besuch beim TÜV aufkommt: Es gilt Bestandschutz. Wer sein Zweirad schon zugelassen hat, muss auch bei den alle zwei Jahre wiederkehrenden Prüfungen nur die Bedingungen erfüllen, die zum Zeitpunkt der Zulassung gültig waren. Also alles wie bisher. Spannender wird die Sache für alle, die noch mit einer Neuanschaffung liebäugeln: Im Herbst das günstige Schnäppchen sichern und dann erst im Frühjahr 2017 bei der Zulassungsbehörde vorstellig werden, birgt Probleme. Weil: Ab dem 1. Januar kommenden Jahres dürfen keine Neufahrzeuge mehr angemeldet werden, die noch nach der alten Euro 3-Norm homologiert sind. Und das sind einige. Daher im Zweifel noch in diesem Jahr informieren, welche Norm das Traumbike erfüllt und lieber noch 2016 den Gang zur Zulassungsstelle antreten.
Auch wer den Gedanken hegt, dass eine einfache Aufrüstung von Euro 3 auf Euro 4 möglich ist, irrt, denn mit der Euro 4 treten zahlreiche neue Vorgaben in Kraft. Dazu zählen ABS, eine On-Board-Diagnose, die nachgewiesene Dauerhaltbarkeit von Katalysatoren, die neue Geräuschnorm ECE-R41, eine geschlossene Tankentlüftung mit Aktivkohlefilter und noch einiges mehr. Alle Details zur ab 2017 gültigen Vorgabe stehen in MOTORRAD-Ausgabe 4/2016. Ein Gutes hat die ganze Sache aber: Wie für Privatpersonen gelten die Vorgaben natürlich auch für Hersteller und Händler. Und die müssen bis Ende des Jahres ihre Euro 3-Modelle in den Markt drücken, Stichwort Tageszulassung. So viel ist sicher. Da kommt richtig Bewegung in den Handel. Die Zeit ist günstig für Schnäppchenjäger, die sich so noch schnell ihr Traumbike sichern wollen.
Wem das letzte Stündchen schlägt
Von Aprilia bis Yamaha: Diese acht Motorräder sind nur eine Auswahl, weit mehr Modelle werden die Euro 4-Hürde nicht nehmen, 2017 verschwinden oder nur noch als Restbestand verkauft. Aber: Wenn viele gehen, kommen auch viele neue. Die Messen im Herbst dieses Jahres werden Klarheit bringen.
Quelle: www.motorradonline.de